Der Schlangenschirmständer aus dem Hause Thonet

16. Juli 2020

Objekte im Fokus

+++ Wolfgang Thillmann, Gastkurator der MAK-Ausstellung BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign, zu einem der Highlights der Schau +++

Neben ihren Bugholzmöbeln stellten die Gebrüder Thonet ab der Pariser Weltausstellung 1867 immer wieder auch Halbfertigwaren oder einzelne Bugholzteile aus, welche nicht für den Verkauf gedacht waren, sondern die perfekte Beherrschung des Biegeverfahrens zeigen sollten. Zu diesen Exponaten gehörten spiralförmig gebogene Hölzer, deren Herstellung einerseits technisch sehr anspruchsvoll war, die zugleich aber auch demonstrierten, welche Holzstärken man mittlerweile massiv biegen konnte. So gab es dreidimensionale, schraubenförmige Objekte mit eher dünnen Holzquerschnitten, aber auch solche, die lediglich in einer Ebene gebogen wurden, somit einer überdimensionierten hölzernen Uhrfeder glichen, wobei man hier wesentlich stärkere Querschnitte verwenden konnte als bei ersteren.

Zwei Biegespiralen für Ausstellungszwecke, Entwurf und Ausführung: Gebrüder Thonet, um 1880
Firmensammlung TON
© Wolfgang Thillmann

Die eher zweidimensionalen Formen finden sich häufig bei den klassischen Bugholzmöbeln – so beispielsweise als Rücklehneinsätze oder Armlehnen für die Fauteuils oder Canapés. Doch ist nur ein einziges Möbel bekannt, das tatsächlich eine schraubenförmige Spiralform aufnahm: der im Katalog von 1904 erstmals abgebildete Schlangenschirmständer.

Schlangenschirmständer, Entwurf: Gebrüder Thonet, um 1900 Ausführung: Gebrüder Thonet, Koritschan, Radomsk, um 1904 Sammlung Werner © Wolfgang Thillmann

Schlangenschirmständer, Entwurf: Gebrüder Thonet, um 1900
Ausführung: Gebrüder Thonet, Koritschan, Radomsk, um 1904
Sammlung Werner
© Wolfgang Thillmann

Offensichtlich war es schon in der Bopparder Zeit mög­lich, solche Formen herzustellen, allerdings noch nicht in der Technik des Massivbiegens, sondern schichtverleimt. Neben einer Skizze der Formen für das Biegen der Seitenteile des Bopparder Sessels war dem Österreichischen Patentantrag vom 14. Mai 1842 auch die Darstellung einer kurbelartigen Vorrichtung beigegeben, mit de­ren Hilfe solche spiralförmigen Bauteile erzeugt werden konn­ten. Es ist zu vermuten, dass diese Teile für die Untergestelle kleiner Tische verwendet wurden, so, wie wir es bei dem vermutlich für die Weltausstellung 1855 in Paris angefertigte Tischchen sehen können.

Tischchen, vermutl. präsentiert auf der Weltausstellung 1855 in Paris, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien, 1854 Ausführung: Gebrüder Thonet, Werkstatt Mollardmühle, 1854 MAK H 3937/2018

Tischchen, vermutl. präsentiert auf der Weltausstellung 1855 in Paris, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien, 1854, Ausführung: Gebrüder Thonet, Werkstatt Mollardmühle, 1854
© MAK/Georg Mayer

Dessen spiralförmige Säule besteht aus insgesamt 6 schichtverleimten Stäben, die sich schraubenförmig zu einem halbkugelförmigen Oberteil winden. Diese Säule wäre alleine zu schwach gewesen, das Oberteil zu tragen, weshalb man mittig durch diese noch einen furnierumwickelten Eisenstab steckte, der mit dem Eisengussfuß und einer in diesem angebrachten halbkugelförmigen Bleigewicht stabilisiert und beschwert wurde.

Tischchen, vermutl. präsentiert auf der Weltausstellung 1855 in Paris, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien, 1854 Ausführung: Gebrüder Thonet, Werkstatt Mollardmühle, 1854 © Wolfgang Thillmann

Tischchen, vermutl. präsentiert auf der Weltausstellung 1855 in Paris, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien, 1854 (Detail), Ausführung: Gebrüder Thonet, Werkstatt Mollardmühle, 1854
© Wolfgang Thillmann

Von ähnlichem Aussehen ist der 1851 auf der Weltausstellung in London gezeigte kleine Tisch mit seiner aus acht Stäben gefertigten spiralförmigen Säule. Die Stäbe bestehen allerdings nicht aus schicht- sondern aus stabverleimten Hölzern. Bei dieser Konstruktion stand nicht der technische Aspekt im Vordergrund, sondern ein ästhetischer: Nur bei dieser Bauart ließen sich die den Windungen folgenden Messingbänder einbauen.

Tischchen, präsentiert auf der Weltausstellung 1851 in London, Entwurf: Michael Thonet, Wien, 1850 Ausführung: Michael Thonet, Wien, Werkstatt Gumpendorf, ab Herbst 1850 Thonet Frankenberg © Wolfgang Thillmann

Tischchen und Detail Tischplatte, präsentiert auf der Weltausstellung 1851 in London, Entwurf: Michael Thonet, Wien, 1850, Ausführung: Michael Thonet, Wien, Werkstatt Gumpendorf, ab Herbst 1850
Thonet Frankenberg
© Wolfgang Thillmann

Erstmals massives Holz verwendete man bei einer ebenfalls als Einzelanfertigung für Weltausstellungen gefertigten Blumensäule, die auch als Büstenständer verwendet werden konnte. Aus Gründen der Stabilität und um ein Schwanken der Säule um die Längsachse zu verhindern, bestehen die Windungen der Spirale aus sehr massiven Holzstäben, die unten und oben von einem Ring zusammengehalten werden. Ein Eisenstab wie noch bei dem 1855 Tischchen ist nicht mehr notwendig.

Die Fertigung solch eines Möbels für den allgemeinen Verkauf wäre vermutlich zu aufwendig und damit entsprechend teuer gewesen, weshalb am Ende der Schlangenschirmständer tatsächlich das einzige Möbel blieb, welches diese dreidimensionale, schraubenförmige Spiralform in massiver Ausführung zeigt. Das immer vorhandene Problem der lateralen Stabilität dieser speziellen Form wurde so gelöst, dass sie nicht direkt auf dem Boden steht, sondern an vier, innen liegenden klauenartigen Tierfüßen befestigt ist.

Der Schlangenschirmständer wurde zu einem Preis von 24 Kronen angeboten, dem vierfachen eines Stuhls Nr. 14.

Scan aus Verkaufskatalog, 1904 © Wolfgang Thillmann

Scan aus Verkaufskatalog, 1904 © Wolfgang Thillmann

Im Jahr 1906 wurden insgesamt nur 19 Stück dieses Luxusmöbels hergestellt, was seine große Seltenheit erklärt. Bereits in dem Gesamtkatalog von 1911 ist er dann nicht mehr erhalten. Bei dem hier abgebildeten Schlangenschirmständer mit der aufwendigen Vergoldung und Bemalung dürfte es sich darüber hinaus um eine Sonderanfertigung handeln; es ist der einzig bekannte in dieser Ausführung.

Die MAK-Ausstellung BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign war von 18. Dezember 2019 bis 6. September 2020 im MAK zu sehen.

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